Welche Anwältin möchte ich sein? Was unterscheidet mich von anderen Anwälten? Um sich gut zu präsentieren, muss man wissen, wen man ansprechen und wer man sein möchte. Daher muss man sich spätestens in der Gründungsphase genau damit auseinandersetzen, wer die eigene Zielgruppe ist und welche Fachbereiche man abdecken möchte.
Derzeit beraten mein Kanzleipartner und ich primär in Fachbereichen, in denen wir bereits (vertiefte akademische und/oder praktische) Erfahrung haben, nämlich Immobilienrecht und Recht & Technik (IP/IT/KI/Datenschutz). Grundsätzlich bin aber für alles offen, was mich interessiert und von dem ich denke, dass ich es fachlich und wirtschaftlich anbieten kann. Meine genaue fachliche Spezialisierung wird sich in den nächsten Monaten und Jahren sicher noch eindeutiger herauskristallisieren.
Welche Rechtsform ist für uns geeignet? Welche Anwaltssoftware soll ich wählen? Welche Ordner-Struktur ist praktisch? Wie möchte ich meinen Online-Auftritt gestalten? Was ist der beste Kanzleistandort?
Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die ich mir in der Gründungsphase gestellt habe und die ich selbst – gemeinsam mit meinem Kanzleipartner – zu entscheiden hatte. Viele Punkte kann man wirtschaftlich berechnen, bei anderen entscheidet auch das Bauchgefühl mit. Geholfen hat mir der Gedanke, dass die meisten Entscheidungen notfalls revisibel sind und dass es primär wichtig ist, überhaupt eine Entscheidung zu treffen (anstatt das Thema immer wieder hinauszuschieben).
Mit den vielen Entscheidungsfragen geht natürlich auch eine große Verantwortung einher, die man nun – gemeinsam mit allfälligen Kanzleipartnern – zu tragen hat. Zu Beginn war der Gedanke, plötzlich für all diese Aspekte verantwortlich zu sein, ungewohnt. Mittlerweile habe ich mich gut daran gewöhnt und finde es gut, die Zügel in der Hand zu haben und mir meinen Job weitestgehend so zu gestalten wie ich ihn haben möchte.
Zu Beginn der Selbständigkeit ist man in der Regel nicht so ausgelastet wie als Konzipient in der Großkanzlei – da ist es ungewohnt, nicht täglich von 9 bis 19 Uhr Fälle abzuarbeiten. Manchmal kommt da der Gedanke auf, man habe zu wenig Arbeit oder tue zu wenig. In Wirklichkeit arbeite ich aber nicht weniger, sondern anders. Viel Zeit fließt in Business Development: Wenn ich abends bei einer Networking-Veranstaltung bin oder mit einem potenziellen Mandanten oder Kooperationspartner essen gehe, ist das ebenfalls Arbeit und bringt mich weiter.
Besonders geduldig mit mir selbst war ich ehrlich gesagt noch nie. In meinen letzten Jobs, vor allem aber im Studium, hatte ich immer den Anspruch möglichst effizient und schnell zu sein.Zu Beginn einer Selbständigkeit hat man nicht alles selbst in der Hand – man muss lernen geduldig zu sein. Derzeit mache ich mir bewusst, dass ich alles, was ich aktuell für den Erfolg unserer Kanzlei tun kann, tue, aber dass unter anderem auch der Faktor Zeit eine Rolle spielt. Das hilft mir, entspannter mit der Situation umzugehen.
Wenn es mir gelingt, bei aller Arbeit geduldig und entspannt zu sein, wird mir bewusst, welche Freiheit ich eigentlich gerade habe. Unter der Woche frühstücken gehen, fünf Wochen von Italien aus arbeiten oder nach einem langen Networking-Abend länger schlafen? All das ist kein Problem – sofern ich meine Arbeit erledige und meine Finanzen im Blick behalte.
Gerade aufgrund dieser Freiheit kann ich mir derzeit nicht vorstellen, wieder in einen klassischen Angestellten-Job zurückzukehren. Ich denke, dass die meisten, die einmal erfolgreich selbständig waren, nicht mehr zurückkönnen und -wollen. Eher gründen sie noch ein weiteres Unternehmen.
Während ich früher oft als ruhig und zurückhaltend wahrgenommen wurde und lieber zu wenig als zu viel gesagt habe, gehe ich nun offen auf Menschen zu. Ich habe derzeit sowohl beruflich als auch privat mehr Energie und Freude daran, neue Kontakte zu knüpfen.
Investitionen und laufende Kosten im Blick zu behalten zählt nun genauso zu meinen Aufgaben wie Honorarangebote oder -schätzungen abzugeben, die richtigenKooperationspartner und Weiterbildungsveranstaltungen auszuwählen. Zudem entscheiden mein Kanzleipartner und ich gemeinsam, was wir uns wann an „Gehalt“ bzw „Bonus“ auszahlen. Hier ist es wichtig, diszipliniert zu sein, aber auch das ein oder andere unternehmerische Risiko einzugehen.
Hätte man mich vor einem Jahr gefragt, ob ich mich nach meiner Eintragung selbständig machen möchte, hätte ich mir das nie zugetraut. Wenn ich ehrlich bin, war ich bis zuletzt unsicher, ob ich das wirklich machen soll. Noch wenige Wochen vor der Kanzleigründung habe ich ernsthaft überlegt, nach der Konzipientenzeit ein Jahr Auszeit zu nehmen und die Frage, wie es beruflich weitergehen soll, auf später zu verschieben.
Oft schadet es nicht, sich Herausforderungen zu stellen, die zu Beginn „eine Nummer zu groß“ wirken, denn: What doesn’t kill you makes you stronger. Und was ist, wenn das Ergebnis viel besser wird als du es dir vorgestellt hast?
Klara Geuer ist seit kurzem Rechtsanwältin und hat im Mai 2023 gemeinsam mit ihrem Mann die Wiener Wirtschaftsrechtskanzlei GEUER Rechtsanwälte OG gegründet. Davor arbeitete sie unter anderem in einer Wiener Großkanzlei als Rechtsanwaltsanwärterin und promovierte an der Universität Wien zum Thema Datenschutz im Gesundheitsbereich. Ihre Schwerpunkte liegen im Immobilienrecht sowie im Bereich Recht & Technik (IT/IP/KI/Datenschutz). Sie veröffentlicht in Fachzeitschriften und im kanzleieigenen Blog regelmäßig Beiträge zu aktuellen rechtlichen Themen.
Mehr Infos über GEUER Rechtsanwälte findet ihr auf der Kanzlei-Homepage und in den sozialen Medien (LinkedIn, Facebook, Instagram).
Photo credit Astrid Neumann