Vorbilder-Reihe Paragraphinnen & ÖRAK: Mag. Birgitta Winkler, LL.M.

Sie sind Einzelanwältin. Was sind für Sie die Vorteile gegenüber der Mittel- oder Großkanzlei?

Die Vorteile einer Einzelanwältin sind sicher darin zu sehen, dass man sämtliche Entscheidungen alleine treffen darf, eine Abstimmung mit Partnern ist nicht erforderlich. Dies eröffnet zwar eine große Verantwortung aus unternehmerischer Sicht, aber auch eine sehr große Freiheit. 

Was würden Sie RechtsanwaltsanwärterInnen betreffend den Wechsel von der Mittel- oder Großkanzlei in die Einzelkanzlei raten?

IFür den Wechsel in die Einzelkanzlei ist es meines Erachtens wichtig zu wissen, auf welche Gebiete man sich spezialisieren will. Ich glaube nicht, dass es heute – in Zeiten immer größerer Spezialisierung und einer immer größeren Anzahl an Rechtsvorschriften – möglich ist, eine Einzelkanzlei als „Wald- und Wiesenkanzlei“ zu führen. Man ist zwangsläufig nicht in jedem Rechtsgebiet gleich gut. Dies geht nicht nur zu Lasten der Mandanten, sondern hat unter Umständen auch vermögensrechtliche Folgen.

Viele BerufseinsteigerInnen besorgt das Thema Akquise. Ist Ihrer Meinung nach ein Überleben als Kleinkanzlei nur mit Laufkundschaft möglich?

„Laufkundschaft“ ist sicher ein wichtiger Bestandteil zur Gewinnung von Mandaten. Hier ist aber sicherzustellen, dass der eigene Außenauftritt bzw. das eigene Marketing ansprechend sind und man auf ausgewählten Plattformen vertreten ist. Den „typischen Laufkunden“, der vormittags plötzlich in der Kanzlei steht, habe ich nicht erlebt. Ziel sollte jedenfalls sein, bestehende Klienten als Dauerklienten zu gewinnen.

Sie waren auch einige Jahre in diversen Unternehmen tätig. Warum haben Sie sich schließlich für die Anwaltei entschieden?

Meine Entscheidung für die Anwaltei war eine sehr persönliche, da ich nach über 15 Jahren in Konzernen aus den Hierarchiestrukturen in die Selbständigkeit wollte. Zudem ist es in der Anwaltei möglich, sich auf Rechtsgebiete zu spezialisieren, die den eigenen Interessen entsprechen. Diese Interessen kann man immer weiter ausbauen und diese schließlich als eigenen USP am Markt positionieren.

Welche Tipps haben Sie für RechtsanwaltsanwärterInnen, die kurz vor dem Schritt in die Selbstständigkeit als eingetragene Anwältin stehen?

Aus meiner Sicht sicherlich die wesentlichste Frage ist, welches Kanzleiprogramm man einsetzen will – hier sollte man viel Zeit mit der Prüfung der einzelnen Anbieter verwenden und sich dann für das Programm entscheiden, von dem man überzeugt ist, dass es den Herausforderungen der Digitalisierung am besten begegnet. 

Weiters ist es wichtig, spätestens zu Beginn der Selbstständigkeit einen professionellen Außenauftritt – sowohl Homepage, als auch Briefpapier etc. – zu haben. Auch ein Steuerberater, der sich mit der speziellen Berufsgruppe der Rechtsanwälte auskennt, ist sehr hilfreich. 

Last – but not least – ist die Beschäftigung mit der eigenen Vorsorge ganz wichtig, d.h. das bestehende Pensionskonto und Überlegungen zu den Mindestversicherungsjahren im ASVG, damit diese – trotz Eintritt in die Anwaltei – für den eigenen Pensionsantritt genutzt werden können (15 Jahre Mindestversicherungsdauer).

Wie flexibel sind Sie in ihrer Arbeitseinteilung (Homeoffice, Stundenanzahl, Arbeiten aus dem Ausland, …)?

Meine Arbeitseinteilung ist sehr flexibel, da ich meine Kanzlei zu fast 100% digital führe. Das heißt, solange ich meinen Laptop mithabe, kann ich von überall aus arbeiten, da ich direkten Zugriff auf die Kanzlei habe. Sollte einmal kein WLAN verfügbar sein, geht dies auch jederzeit über einen Hotspot. Diese Flexibilität erleichtert natürlich auch Planungen im privaten Bereich.

Ihre Kanzlei setzt stark auf die digitalen Services. Wie bzw. mit welchen Schritten haben Sie die „Umstellung“ der Prozesse auf digital geschafft?

Da ich bereits einige Jahre in Großkonzernen gearbeitet habe, war ich mit Prozessmanagement bereits sehr vertraut. Das und die Tatsache, dass ich mich als Einzelanwältin selbstständig gemacht habe, haben es mir erleichtert, bereits von Anfang an sämtliche Prozesse digital zu gestalten. Mir war bei sämtlichen Lösungen immer wichtig, dass diese entweder innerhalb der Kanzlei-Software umgesetzt oder unter möglichst wenig Aufwand in die einzelnen Prozessabläufe integriert werden konnten. Dies hat zum Ergebnis, dass ich heute Akten von Beginn des Mandats bis zum Ende vollständig digital führen kann.

Welche Bereiche der Rechtsdienstleistungen lassen sich Ihrer Meinung nach besonders gut digital abwickeln?

Ich glaube, dass sich alle Rechtsbereiche gut digital abwickeln lassen. Es hängt nur immer von der Abbildung bzw. Umsetzung der zugrundeliegenden Prozesse ab. Hier sollte man wissen, wie die eigenen Abläufe sind bzw. wie man diese verbessern könnte und dementsprechend lässt sich dies auch digital abbilden. Digitales Arbeiten hat vor allem den Vorteil, dass keine „fetten“ Akten mehr zu schleppen sind oder im Laufe der Jahre das Archiv immer größer wird.

Wie wird die Digitalisierung Ihrer Meinung nach die anwaltliche Arbeitspraxis in 20 Jahren verändert haben?

Die Digitalisierung hat auf die anwaltliche Arbeitsweise sicher einen großen Einfluss. Zum einen wird es die eigene Arbeit in der Kanzlei erleichtern, zum anderen werden aber von den Anwälten zusätzliche Arbeiten übernommen werden (müssen), siehe z.B. die Umsetzung der strukturierten Firmenbucheingaben, wo nunmehr Anwälte defacto die Tätigkeit der Eingabe von den Rechtspflegern übernommen haben. Das heißt der Anwalt der Zukunft wird sich nicht nur im rechtlichen und technischen Bereich auskennen müssen, sondern Ziel sollte sein, die rechtliche Abwicklung ganzer Akte digital zu führen und – unter Zeitgewinn – abzuwickeln; dabei wird sicher auch KI eine große Rolle spielen.

Welchen Tipp würden Sie Ihrem jüngeren Ich geben?

Grundsätzlich würde ich meinem jüngerem Ich bestätigen, dass der eingeschlagene Weg der richtige war und es sich auszahlt durchzuhalten. Ein wesentlicher Tipp ist, bestehende Netzwerke zu pflegen und konsequent auszubauen. Ich glaube, dass gerade Frauen viel Zeit und Energie darauf verwenden, in der Sache perfekt zu sein. Dabei vernachlässigen sie jedoch die Wichtigkeit von eigenen Netzwerken. Es ist zwar aufwendig, diese zu gestalten und zu pflegen, aber es zahlt sich im Laufe der Jahre immer mehr aus, gerade wenn man selbständig tätig ist.

Mag. Birgitta Winkler, LL.M.

Birgitta Winkler ist seit Mai 2020 als Rechtsanwältin selbstständig tätig (EQ Law Winkler Rechtsanwalts GmbH, Homepage: www.eq-law.at). Zuvor arbeitete sie – nach Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung am OLG Wien – über 15 Jahre in mehreren Unternehmen in der Privatwirtschaft, wo sie auch Führungsfunktionen innehatte. Weiters ist sie heute als Lektorin für International Labor Law an der FH Kärnten tätig sowie als Unternehmens-beraterin und Mediatorin. Ihre Schwerpunkte liegen im Firmenrecht (Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Immobilienrecht, Erbrecht) sowie im Bereich IT und Digitalisierung. Die Kanzlei wird zu fast 100% digital geführt.