Jungen Menschen wird oft gesagt, dass Sie 110% für Ihren Beruf brennen müssen. Man soll sich auf eine Baustelle fokussieren. Sie sind das lebende Beispiel, dass es auch anders geht. Sie sind Anwältin, Mutter und Sie haben einen erfolgreichen Feinkostladen in Grinzing. Was sagen Sie zu den Menschen, die sagen, dass man nur einen Fokuspunkt haben soll?
Ich arbeite an drei Baustellen gleichzeitig – und ja, es ist zeitlich gesehen ein Balanceakt. Aber: ich bin davon überzeugt, dass man durch den zeitlichen Stress Meisterin darin wird zu erkennen:
- Was ist wirklich wichtig?
- Wer kann/muss warten?
Und das Wichtigste aus dem juristischen Leben: worauf kommt es in dem Fall wirklich an? Die Chance, sich durch zu viele „Wenn-Dann“ Überlegungen juristisch zu verzetteln ist sehr gering, wenn man wenig Zeit zur Verfügung hat. Fokus auf die wichtigsten Themen ist alles! Und aus meiner Erfahrung gelingen dann auch vor Gericht so die besseren – knappen – und überzeugenderen Schriftsätze.
Sie haben langjährige Erfahrung in großen Anwalts-Sozietäten in Wien. Warum haben Sie sich entschieden einen anderen Weg zu gehen?
Es war mir wichtig, dass ich meinen beruflichen Alltag selbst gestalte. Außerdem habe ich mich auf das Erbrecht spezialisiert. Dieses Gebiet ist geradezu ideal für die Selbständigkeit. Man hat den direkten Kontakt zu den Mandanten, begleitet sie oftmals über einen längeren Zeitraum und erfährt eine ungeheure Wertschätzung. Das gibt Kraft und Zuversicht!
Welche konkreten Tipps haben Sie für jemanden, der überlegt selbstständig eine Kanzlei zu öffnen?
Man braucht nicht wirklich eine extrem umfassende Datenbank/Bibliothek. Gute Recherche im RIS (da gibt’s so ein paar Tricks) zu der einschlägigen Judikatur ist ohnehin wichtig(er). Die sonstigen Fixkosten als Anwältin sind sowieso schon hoch. Eine eigene Kanzlei ist gar nicht notwendig. Leichter und flexibler ist es, sich – nur nach Bedarf – mit einer Sprechstelle in eine Kanzlei einzumieten. Das jedoch nur unter der Voraussetzung, dass man von woanders (zB von zu Hause) gut arbeiten kann.
Was aber leider schon ein Thema ist, das ich gerade am Anfang meiner Tätigkeit überhaupt nicht im Fokus hatte: die Pension. Leider ist (für mich nicht nachvollziehbar) ein „Mitnehmen“ von Pensionsjahren aus dem System der Anwälte ins ASVG udgl und auch umgekehrt, nicht möglich. Also ein beruflicher Wechsel als Anwältin in andere (pensionsrechtliche) Systeme wird dadurch leider erschwert. Fairerweise muss man das allen Berufsanfängern ganz klar machen.
Bleiben wir bei dem Thema Kanzlei. Sie arbeiten aus Ihrem Home-Office aus. Welche Vorteile hat eine „In-House-Kanzlei“? Gibt es Nachteile?
Vorteile:
- Das Arbeitszimmer ist hell und groß – und vermittelt auch von der Einrichtung eher wenig Büroatmosphäre.
- Ich muss keine Businesskleidung tragen (jeder wie er mag, ich hab sie jedenfalls jahrelang getragen und nun genug davon).
- Meine Kaffeemaschine macht tollen Kaffee!
- Wenn ich mal ‚raus‘ aus der juristischen Welt will, dann kann ich das ganz einfach.
Nachteile:
- Ich muss den Schreibtisch selber aufräumen und mache es zu selten.
- Ich würde mich gerne mehr fachlich mit Kollegen austauschen. Allerdings kann ich da auch KollegInnen anrufen, aber der direkte Kontakt wie in einer Kanzlei fehlt dann schon. Liegt aber auch daran, dass es – leider – noch zu wenig KollegInnen gibt, die im Erbrecht als AnwältInnen arbeiten.
Mit 2 Businesses und einer Familie, muss Ihr Terminkalender sehr voll sein. Welche Tipps haben Sie für Zeitmanagement?
Freitags wenn möglich keine Termine ausmachen! Und aus persönlicher Erfahrung: nur 1 Termin pro Tag, sind es mehrere, strudelt man nur herum und dann geht irgendwie auch nix weiter, weil man sich nicht wirklich auf eine Sache konzentrieren kann. Das ist jedenfalls meine Einschätzung dazu.
Wie finden Sie für sich die richtige Balance?
Im Feinkostladen – es ist wirklich eine andere (und magische) Welt. Wenn ich dort zwischen Brot, Fisch, Käse bin, bin ich keine Anwältin, sondern eben eine – vielleicht etwas andere – Greißlerin. Körperlich ist es aber 100 Mal anstrengender einen Tag lang im Verkauf zu stehen, als im Büro zu sitzen. Nach einem Verkaufstag komm ich meistens total erschöpft nach Hause, weil man sich dort ohne Pause dauernd bewegt, was hebt, holt, beschriftet, einsortiert usw.
Die Energie hol ich mir dann durch gutes Essen! Und am nächsten Tag arbeite ich wieder als Anwältin. Viel sitzen – dafür raucht dann gerne auch der Kopf! 😊 Diese zwei unterschiedliche Welten ergänzen sich daher wunderbar.
Wie glauben Sie, wird sich der Anwaltsberuf in den nächsten 5-10 Jahren entwickeln?
Auch wenn ich mir dadurch vielleicht keine Freunde schaffe: Ich persönlich hoffe doch, dass mit der Zeit immer mehr IT-Programme bzw. künstliche Intelligenz eine solide juristische Vorarbeit und rechtliche Falleinschätzung auf einem seriösen Niveau schaffen.
Ich sehe den Anwaltsberuf (vielleicht nicht in jedem Gebiet) dann langfristig eher in dem Bereich, diese Lösungsansätze kritisch zu hinterfragen, neue Argumentationslinien daraus zu erkennen.
Wer waren Ihre Vorbilder im Laufe Ihrer Karriere?
Sicherlich viele Kolleginnen und Kollegen in der beruflichen Welt. Aber ich habe den Film ‚Joy – alles außer gewöhnlich‘ mit Jennifer Lawrence als sehr inspirierend gefunden. Es ist handelt von einer jungen Frau, die nach – mehreren Fehlschlägen – letztlich eine erfolgreiche Unternehmerin wurde. Der Film zeigt die Widrigkeiten und Irrläufe ihrer Laufbahn. Tragisch und komisch zu gleich.
Welches Produkt aus Ihrem Feinkostladen würden Sie uns für die perfekte Mittagspause empfehlen?
Wir haben Suppen und Hauptgerichte von der Flotten Lotte aus Zwettl. Das ist ein Verein von Bäuerinnen, die Gemüse einkochen, das in den Supermärkten übrig bleibt. Und alles, was sie machen, schmeckt wunderbar: zB ein Libanesischer Linseneintopf, Kohlrabi-Curry usw.
Mein konkret nächstes Projekt ist es, Anwaltskanzleien mit diesen wunderbaren Gerichten zu beliefern. Es gibt sie außer bei mir im Feinkostladen in keinen anderen Geschäften in Wien. Sie sind toll abgeschmeckt, abwechslungsreich und ganz schnell zum Aufwärmen. Dazu kann ich zB unser Brot und Gebäck von Öfferl und als Dessert unser besonders beliebtes, da sehr süßes, Obst anbieten.
Welchen ultimativen Karrieretipp haben Sie für junge Juristinnen?
An sich selbst glauben und sich treu bleiben. Das hilft, den eigenen Weg – auch wenn es manchmal schwierig sein sollte – zu gehen.