Selbstzweifel sind Begleiter eines jeden Starts. Der Anwaltsberuf bzw der Weg dorthin scheint Zweifel in besonderem Maße zu schüren. Einen großen Anteil daran haben ohne Frage die hartnäckigen Klischees und Vorstellungen zum Anwaltsbild. Die Fernsehserie mit der starken Anwältin, die auf alles eine schlagfertige Antwort findet, unermüdlich kämpft und sich durch nichts erschüttern lässt – oder aber dem Druck nicht gewachsen ist und an dem Beruf zerbricht. Aber wie ist das wirklich? Gibt es nur diese beiden Extreme? Ist für den Beruf nur eine nach außen hin starke und taffe Frau geeignet?
Die Antwort ist ein klares Nein. Analysieren wir den Anwaltsberuf einmal ganz trocken: Als Anwalt bzw. Anwältin ist man DienstleisterIn. Man verkauft keine Produkte, man verkauft sich selbst, seine Persönlichkeit und seine Leistung. Man ist selbst die Marke. Eine erfolgreiche Marke braucht vor allem zwei Dinge: Eine klare Botschaft/Unterscheidungskraft und eine Zielgruppe.
Die Botschaft und die Unterscheidungskraft habt ihr bereits mit eurer individuellen Persönlichkeit, eurer Geschichte/eurem Hintergrund und euren individuellen Fähigkeiten. Den schlimmsten Fehler, den man meiner Meinung nach begehen kann, ist zu versuchen, ein bestimmtes gedachtes Ideal eines Anwalts bzw einer Anwältin erfüllen zu wollen; seine eigenen Fähigkeiten zu verleugnen und alle Eigenschaften, welche dieses vermeintliche Ideal nicht aufweist, als Schwächen abzuwerten.
Als Beispiel: Klara ist Jusstudentin kurz vor dem Abschluss. Klara ist introvertiert und mag keine Auseinandersetzungen. Ihre Freunde necken sie manchmal, weil sie übergenau ist. 15:26 Uhr ist für sie nicht 15:30 Uhr, sondern eben 15:26 Uhr oder wenn man so will, 4 Minuten vor halb vier. Selbst der kleinste Beistrichfehler springt ihr sofort ins Auge. Sie will alles genau und korrekt formuliert wissen. Klara würde gerne Anwältin werden, zweifelt aber an ihrer Eignung. Wenn sie nur daran denkt, vor Leuten oder gar in einem Gerichtssaal sprechen zu müssen, läuft ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Es wäre ungemein schade, wenn Klara ihren Traum verwerfen würde, nur weil sie einer Fehlvorstellung vom Anwaltsbild unterliegt bzw nur ein ganz konkretes Ideal im Kopf hat, dem sie nicht entspricht. Klara wäre nämlich die geborene Vertragsanwältin. Sie würde ihren MandantInnen genau zuhören, Lösungen sogfältig durchdenken und unmissverständlich festhalten. Ihre Verträge wären wasserdicht. Kommt es doch zu einer Streitigkeit über einen Vertrag, wäre das nicht ihr Gebiet. Das gibt sie gerne an eine(n) KollegIn ab, der/die auf streitige Verfahren spezialisiert ist. Klara ist erfolgreich, weil sie mit ihren Stärken arbeitet bzw vermeintliche Schwächen zu ihren Stärken gemacht hat. Sie hat aus sich und ihren individuellen Fähigkeiten eine starke Marke gemacht und bedient eine wichtige Zielgruppe. Nicht zuletzt: Klara ist glücklich und erfüllt, weil sie jeden Tag das tut, was sie gut kann und liebt. Dieses Beispiel lässt sich mit unzähligen anderen Eigenschaften und anderen Rechtsgebieten weiterführen.
Man kann nun mit Recht einwenden, dass dieses Beispiel verkürzt ist, weil es die wahre Schwierigkeit auslässt, nämlich den Weg zum Ziel. Dieser Einwand wäre richtig. Richtig ist auch, dass dieser Weg – je nachdem wo man ihn beginnt, in welchem Umfeld man landet, ob man Unterstützung findet oder nicht – ein sehr steiniger sein kann. Man kann es aber auch so betrachten, diesen Weg – also besonders die KonzipientInnen-Zeit – bewusst dafür nutzen zu können, um sich selbst, seinen Weg und sein Ziel zu finden. Die KonzipientInnen-Zeit ist zwar zeitintensiv, aber von dem Bindungsgrad an eine bestimmte Kanzlei oder an ein bestimmtes Rechtsgebiet noch flexibel. Man hat die Möglichkeit, herauszufinden, wo die eigenen Stärken liegen und welches Rechtsgebiet sich dafür eignen würde. Welche Schwächen man als Stärke nutzen will und an welchen Schwächen man tatsächlich arbeiten möchte. Und das würde ich jedem/jeder BerufsanfängerIn raten – mit dem gleichen Fleiß und der gleichen Energie, mit der man an seinen Noten und seiner Karriere arbeitet, auch an bzw mit seiner Persönlichkeit zu arbeiten. Und sich nicht entmutigen zu lassen, wenn man während der Ausbildungszeit Durststrecken durchläuft. Das hat nicht zwingend zu bedeuten, dass der Anwaltsberuf nichts für einen ist. Es kann bedeuten, dass das Umfeld oder das Rechtsgebiet noch nicht passt oder andere Umstände. Wenn das der Fall ist, kann ich jede nur zum Durchhalten und vor allem dazu ermutigen, diese Umstände so für sich zu ändern oder sich in ein anderes Umfeld zu begeben, dass es für sie/ihn passend wird.
Ich freue mich in der Zukunft, all die einzigartigen und besonderen KollegInnen zu treffen, die diesen Weg gegangen sind. Wir sehen uns vor Gericht 😉
Ist Partnerin bei hba Rechtsanwälte in Graz