An der Frontlinie des Rechts: Die Staatsanwaltschaft

Wie wird man Staatsanwältin? 

Der Einstieg in die Tätigkeit als Staatsanwältin erfolgt nach der absolvierten Gerichtspraxis durch die erfolgreiche Aufnahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst. Nach der Ernennung zur Richteramtsanwärterin erhält man eine fundierte praktische und theoretische Ausbildung in allen Bereichen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (auch bei der Staatsanwaltschaft). Insgesamt dauert der richterliche Vorbereitungsdienst vier Jahre, wobei die Zeit der Gerichtspraxis als Rechtspraktikantin eingerechnet wird. Nach bestandener Richteramtsprüfung kann man als Staatsanwältin oder aber auch als Richterin tätig werden.
Aber auch Quereinsteigerinnen, die zB die Rechtsanwaltsprüfung und die Richteramtsergänzungsprüfung abgelegt haben, können sich auf eine Stelle als Staatsanwältin bewerben (so habe ich das vor mittlerweile mehr als 10 Jahren gemacht).

Wie kann man sich den Arbeitsalltag in der Staatsanwaltschaft/als Staatsanwältin vorstellen?

Das kommt ganz darauf an, welche Fälle man zu bearbeiten hat. Wird von der Polizei ein Abschlussbericht erstattet und sind tatsächlich keine weiteren Erhebungen mehr ausständig, entscheidet man als Staatsanwältin „nur“ mehr, wie das Verfahren beendet werden soll. Es geht also darum, ob man das Verfahren einstellt (zB weil eine Handlung nicht strafbar oder bereits verjährt ist oder weil man schlichtweg nicht nachweisen kann, dass der Beschuldigte die angezeigte Tat begangen hat), ob Strafantrag erhoben wird oder ob man eine Diversion anbietet (dies ist möglich, wenn der Sachverhalt geklärt ist, der Beschuldigte Verantwortung übernimmt, seine Schuld nicht schwer ist und auch keine anderweitigen Bedenken gegen eine solche Erledigung bestehen).
Sind hingegen noch Erhebungen notwendig und bedarf es zB staatsanwaltschaftlicher Anordnungen, so ist man als Staatsanwältin in die Ermittlungen auch tatsächlich eingebunden. Manchmal ist es erforderlich, dass die Polizei Einsicht in Bankkonten bekommt, teils wird eine Auswertung von DNA-Spuren benötigt, wieder ein anderes Mal ist es notwendig, Telefone zu überwachen oder rückwirkend Telefondaten zu überprüfen und immer wieder kommen auch Straftaten ans Licht, die so massiv sind, dass der/die Beschuldigte festzunehmen ist – all dies ist von der Staatsanwaltschaft (teilweise auch erst nach Einholung einer richterlichen Bewilligung) anzuordnen.
Und darüber hinaus sind noch viele andere Dinge zu erledigen (Verhandlungen zu verrichten, Sachverständige oder Dolmetscher bestellen, Anträge an das Gericht zu stellen, Rechtsauskünfte an die Polizei zu erteilen, mit anderen Behörden in Kontakt zu bleiben (zB mit der Kinder- und Jugendhilfe, wenn Kinder von Straftaten ihrer Eltern betroffen sind).
Es wird also nie langweilig – im Gegenteil, der Tat hat manchmal viel zu wenig Stunden.

Wie kann man sich das Auswahlverfahren vorstellen? 

Wer im Rahmen der Gerichtspraxis keine entsprechenden Leistungen bringt, wird vermutlich nicht zur Richteramtsanwärterin ernannt – auch danach zählen gute Beurteilungen durch die Ausbildungsrichter. Man sollte sich also schon während der gesamten Ausbildungszeit anstrengen und auch immer vor Augen haben, dass es nur wenige Ausbildungsstellen gibt und es demnach ein Privileg ist, überhaupt die Möglichkeit zu haben, eine davon zu ergattern.

Wie schwer bzw. leicht ist es, eine Planstelle zu ergattern? 

Das kommt immer auf den Zeitpunkt an und kann pauschal nicht beantwortet werden – es gab Zeiten, da hatte man kaum Chancen, dann wurden wieder Staatsanwälte gesucht. Außerdem gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den Gerichtssprengeln.

Welche Karrieremöglichkeiten gibt es in der Staatsanwaltschaft?

Grundsätzlich sind alle Staatsanwälte und Staatsanwältinnen gleichgestellt – dann gibt es aber noch in jeder Staatsanwaltschaft verschiedene Gruppen (zB die Suchtgiftgruppe, die Jugendgruppe, die Gruppe für extremistische Straftaten, usw); jede dieser Gruppen hat eine:n Gruppenleiter:in, die/der  in bestimmten Strafverfahren noch einmal ein Auge auf bestimmte Entscheidungen wirft und demnach sozusagen ein Vorgesetzter ist. Zu guter Letzt gibt es in jeder Staatsanwaltschaft noch die Behördenleitung und deren Stellvertreter. Darüber hinaus gibt es in Österreich vier Oberstaatsanwaltschaften (Linz, Graz, Innsbruck und Wien), an denen jeweils mehrere Oberstaatsanwälte (und auch ein Leiter samt Stellvertreter) tätig sind, sowie weiters die Generalprokuratur, bei der es sich sozusagen um die „höchste Staatsanwaltschaft der Republik“, handelt. Auf all diese Posten in der staatsanwaltschaftlichen Karriereleiter kann man sich theoretisch bewerben.

Kann man nach der Tätigkeit als Staatsanwältin noch Richterin werden?

Ja natürlich – es ist jederzeit möglich, sich auf einen Richterposten zu bewerben. Ich persönlich kenne auch mehrere ehemalige Kolleginnen, die diesen Weg eingeschlagen haben.

Wird das Strafrecht jemals langweilig?

Nein, Strafrecht wird nie langweilig, weil jeder Fall anders ist. Es gleicht letztlich (abgesehen vom derzeit auftretenden Phänomen der Cybercriminalität, bei dem sich verschiedenste Tätergruppen Tatmodalitäten bedienen, die im Großen und Ganzen immer gleich funktionieren) kaum ein Sachverhalt dem anderen.

Wie intensiv ist man in die Ermittlungen der Polizei eingebunden?

Wie oben bereits ausgeführt, kommt dies auf den jeweiligen Akt an. Es gibt Ermittlungsverfahren, in denen die Polizei komplett selbstständig agiert und man erst am Ende der Erhebungen einen Abschlussbericht erhält. Andererseits gibt es Verfahren, in denen man von Beginn an äußerst intensiv eingebunden ist – zu denken ist hier etwa an einen Mord oder auch an große Betrugsverfahren. Ganz allgemein ist zu sagen, dass man als Staatsanwältin immer dann stark eingebunden ist, wenn in einem Verfahren mehrere Anordnungen zu machen sind und die Polizei demnach nicht einfach ohne die StA ermitteln kann.

Zuteilung der Fälle? Nachteil?

Die Verfahren werden per Zufallsprinzip den einzelnen Referentinnen und Referenten zugeteilt – man kann sich seine Akten also nicht aussuchen. Manchmal hat man hintereinander mehrere Verfahren, die schnell und einfach erledigt werden können und dann wieder bekommt man drei Verfahren im Gang, die allesamt umfangreiche Ermittlungstätigkeiten nach sich ziehen.

Ist die Tätigkeit vergleichbar mit der Sendung „Der Staatsanwalt“?

Ich kenne diese Sendung nur vom Hörensagen, habe jedoch keine einzelne Folge davon gesehen – außerdem handelt es sich meines Wissens nach um ein deutsches Format, weshalb schon aus diesem Grund kein Vergleich gezogen werden kann. Allgemein kann ich aber sagen, dass sich die im Fernsehen gezeigten Tätigkeiten häufig nicht mit der Praxis vergleichen lassen (dies wäre zum Teil auch einfach zu langweilig, weil bestimmt niemand dabei zusehen möchte, wie eine Staatsanwältin langwierige Recherchen anstellt oder eine umfangreiche Anordnung tippt bzw. wie sie darauf wartet, dass die Anordnung nach der Bewilligung durch den Richter/die Richterin wieder zurückkommt). Am ehesten ist die Tätigkeit einer Staatsanwältin im Rahmen der Rufbereitschaft mit einem Fernsehfilm vergleichbar, weil es da gewöhnlich so ist, dass sich die Polizei telefonisch meldet, einem der Sachverhalt geschildert wird und man sich sofort danach (oder allenfalls nach kurzer Durchsicht von Vernehmungsprotokollen) ebenfalls telefonisch mit dem Journalrichter in Verbindung setzt und sämtliche Anordnungen vorab telefonisch erteilt werden. Da kann es dann manchmal schon zugehen wie im Film 🙂

Welche Vorteile hat die Staatsanwaltschaft gegenüber der Anwaltei?

Für mich persönlich ist der größte Vorteil der, dass man als Staatsanwältin objektiv sein muss und sich an der Wahrheit zu orientieren hat. Kann ich etwas nachweisen, so ist das schön, kann ich es nicht, darf ich nicht herumspekulieren. Man ist mit Ausnahme der Wahrheit auch niemandem gegenüber verpflichtet, man muss zB in einer Verhandlung nicht etwas vorbringen, nur weil der Mandant es gerne hätte.

Wie ist das Verhältnis zwischen Richter & Staatsanwalt?

Bei uns in Wels ausgezeichnet – und auch an den anderen Gerichten durchaus sehr gut. Persönliche Antipathien kann man natürlich nie ausschließen und wird es auch zwischen einzelnen Richtern und Staatsanwälten geben – aber im Großen und Ganzen ist das Verhältnis wirklich als sehr gut und vor allem wertschätzend zu bezeichnen.

Familie und Beruf: Ist die Vereinbarung besser als in der Privatwirtschaft?

Familie und Beruf lässt sich bei der Staatsanwaltschaft sehr gut miteinander in Einklang bringen, wobei dies mittlerweile aufgrund der steigenden Arbeitsbelastung schon durchaus sehr herausfordernd ist. Meiner persönlichen Einschätzung nach stellt es auch in der Privatwirtschaft kein großes Problem dar, in Karenz zu gehen bzw. Teilzeit zu arbeiten (anderes ist mir bislang in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nicht zu Ohren gekommen). In der Anwaltsbranche hingegen sieht es meiner Erfahrung nach nicht so rosig aus und es fällt den Anwältinnen immer noch schwer, sowohl Karriere als auch Familie unter einen Hut zu bringen.

Wie wahrt man die emotionale Distanz bei aufwühlenden/emotional belastenden Causen? Härtet man im Laufe der Jahre ab?

Meistens gelingt es ohne große Bemühungen, die Distanz zu wahren, weil es einfach unser Beruf ist und wir Staatsanwälte eine professionelle Herangehensweise haben. Es gibt allerdings Verfahren, bei denen das nicht der Fall ist – warum auch immer (sei es, weil Kinder betroffen sind, weil schlimme Fotos im Akt sind oder einen die Geschichte, die hinter dem Verfahren steht, einfach bewegt). Auch in diesen Situationen darf man aber den objektiven Blick auf den Sachverhalt nicht verlieren, muss weiterhin in alle Richtungen ermitteln und sich am Ende vor allem die Frage stellen: Was kann ich nachweisen und was nicht?

Welcher Fall war Ihr bisher kuriosester Fall? 

Puh da gibt es viele und ich kann keine einzelnen herausfiltern. In Erinnerung geblieben sind aber jedenfalls mehrere Akten von Heiratsschwindlern, die mit fadenscheinigsten (!!) Geschichten Frauen dazu bewegt haben, ihnen Unsummen an Geld zu überweisen. Akten, die aber viel eher in Erinnerung bleiben als alle kuriosen Verfahren, sind jene, in denen sich menschliche Abgründe auftun bzw. in denen Menschen, die sich einmal geliebt/gemocht haben, dem anderen plötzlich Schreckliches antun… Das macht wirklich oft nachdenklich.

Welche Tipps können Sie Studentinnen und Berufsanfänger geben, die sich für die Staatsanwaltschaft interessieren?

Bitte kommt als Rechtshörer zu uns in die Behörde – das geht ganz leicht und offenbart einem einen Blick hinter die Kulissen.

Mag. Kerstin Kutsam

Mein Name ist Kerstin Kutsam, ich bin 40 Jahre alt und mittlerweile seit 11 Jahren als Staatsanwältin in Wels tätig. Ich habe in Linz Jus studiert und anschließend in der Zeit von Jänner 2008 bis März 2009 in Traun und Wels die Gerichtspraxis absolviert. Anschließend war ich für mehrere Jahre als Konzipientin in einer Welser und einer Trauner Kanzlei tätigt, habe im Sommer 2012 die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt und im darauffolgenden Herbst auch die Richteramtsergänzungsprüfung. Mit 1. Jänner 2013 wurde ich zur Staatsanwältin ernannt und übe diesen Beruf seither (unterbrochen nur durch karenzbedingte Abwesenheiten aufgrund der Geburten meiner drei wundervollen Töchter) mit viel persönlichem Engagement und Leidenschaft aus.