Vorbilder-Reihe Paragraphinnen & ÖRAK: Dr. Alma Steger
Die Vorbilderreihe für die moderne Anwältin: Im Gespräch mit Dr. Alma Steger.
Sie sind Einzelanwältin in Wien. Was hat sie dazu bewegt, ihre Tätigkeit in internationalen Wirtschaftskanzleien hinter sich zu lassen und ihre eigene Kanzlei zu gründen?
Meine Zeit in der internationalen Wirtschaftskanzlei war eine prägende Etappe meiner Karriere, die ich sehr geschätzt habe. Ich habe dort nicht nur juristisch enorm viel gelernt, sondern auch wertvolle berufliche Kontakte und Freundschaften geknüpft. Mich hat damals besonders das Umgründungsrecht begeistert. Diese Leidenschaft ging so weit, dass ich während meiner Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin dazu promovierte.
Trotz all dieser positiven Erfahrungen war mir schon früh klar, dass ich meinen eigenen Weg gehen wollte. Ich wollte die Freiheit haben, meinen beruflichen Alltag eigenverantwortlich zu gestalten und meine Entscheidungen unabhängig von einer „oberen Ebene“ treffen zu können. Dieser Gestaltungswille und die Neugier auf das, was als selbstständige Rechtsanwältin möglich ist, haben mich motiviert, 2005 meine eigene Kanzlei zu gründen. Rückblickend war das ein mutiger Schritt, aber genau dieser Mut hat mich bis heute getragen.
Ein entscheidender Moment kam, als mir auffiel, dass es in Deutschland Rechtsanwälte gab, die sich auf Logistikrecht spezialisiert hatten – ein Thema, das so in Österreich nicht wirklich besetzt war. Ich begann zu recherchieren, war fasziniert von den komplexen Abläufen und erkannte das enorme Beratungspotenzial in diesem Bereich. Ich habe dann die Branche intensiv analysiert, habe mir die Abläufe in Häfen und in großen Warenlager angesehen. Ich bin durch die Bäuche von Frachtflugzeugen gekrabbelt und habe mich mit den Risiken und Bedürfnissen der Logistikbranche intensiv auseinandergesetzt. Mein Ziel war es, nicht nur juristische Lösungen zu bieten, sondern eine Beratung, die tief in die Praxis dieser Branche eintaucht. Gleichzeitig baute ich mir Netzwerk auch außerhalb Österreichs auf, um meine Expertise auch Kolleg:innen im EU-Ausland anzubieten.
Vor einigen Jahren habe ich das Erbrecht für mich entdeckt – was ziemlich lustig ist, weil mich dieses Thema früher überhaupt nicht interessiert hat. Inzwischen habe ich eine echte Leidenschaft dafür entwickelt. Die Kombination aus juristisch und emotional anspruchsvollen Themen finde ich absolut großartig. Und genau das zeigt wieder, was unseren Beruf so spannend macht: Mit genügend Ehrgeiz und Engagement kann man sich auch in neuen Bereichen spezialisieren.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen bei der Gründung Ihrer eigenen Kanzlei?
Die größten Herausforderungen damals? Ganz klar: die wirtschaftliche Unsicherheit und die Akquise. Wie bekomme ich Mandate und werde ich genug Mandate bekommen, um finanziell unabhängig zu sein? Wann stelle ich die ersten Mitarbeiter:innen ein – bevor ich die Arbeit nicht mehr allein schaffe, oder erst, wenn ich sie sicher bezahlen kann? Diese Fragen sind zeitlos und beschäftigen sicher auch heutige Gründer:innen.
Welche Tipps würden Sie jungen Anwältinnen mitgeben, die überlegen, ihre eigene Kanzlei zu gründen, jedoch unsicher sind, ob sie genug Aufträge/Mandanten bekommen werden?
Ja, diese Unsicherheit ist herausfordernd, aber das ist mit einem soliden Plan und klaren Zielen auch in den Griff zu bekommen. Wie finanziere ich mir das erste Jahr, wie hoch muss der Umsatz im ersten Jahr sein und was mache ich, wenn ich diesen nicht erreiche? Diese Überlegungen haben mir geholfen, die Unsicherheit in den Griff zu bekommen und die Entwicklung nicht dem Zufall zu überlassen.
Ein großer Vorteil heute ist der hohe Digitalisierungsgrad. Es ist mittlerweile viel einfacher, sichtbar zu werden und eine Kanzlei mit schlanken Strukturen zu starten. Man kann flexibel arbeiten, ortsunabhängig Mandate betreuen und sich gleichzeitig vernetzen – das waren Möglichkeiten, die vor einigen Jahren noch viel eingeschränkter waren.
Wie schaffen Sie es, Familie und Beruf zu vereinen? Ist es notwendig, sich bestimmte berufliche Grenzen zu setzen, um beides unter einen Hut zu bekommen?
Es gibt hier nichts zu beschönigen. Es erfordert enorme Disziplin, diesen herausfordernden Spagat zeitlich und emotional zu meistern. Als Mutter eines inzwischen 17-jährigen Sohnes habe ich gelernt, sehr bewusst Prioritäten zu setzen und mich auf das zu konzentrieren, was mir wirklich wichtig ist und auf anderes zu verzichten – beruflich und privat.
Wie flexibel ist man als Einzelanwältin, wenn es um die Gestaltung von Arbeitszeiten und Arbeitsort (zB Homeoffice, reduzierte Stunden, Arbeiten aus dem Ausland etc) geht?
Erfolgreich als Anwältin zu reüssieren, erfordert meiner Erfahrung nach unabhängig vom Arbeitsort ein hohes Maß an Engagement und Verfügbarkeit. Reduzierte Stunden sind wohl nur in einem Verband möglich, der diese Arbeitsweise aktiv unterstützt und organisatorisch auffängt.
Was meine Flexibilität massiv erhöht hat, ist die Digitalisierung. Es erleichtert meinen Arbeitstag, wenn ich zB eine Besprechung noch frühmorgens online von zu Hause aus machen kann und auf alles, was ich aus dem Akt und für die Bearbeitung benötige, digital gesicherten Zugriff habe. Wir setzen auch zunehmend KI ein, wobei ich immer wieder einfach nicht glauben kann, wie schnell diese Ergebnisse liefert.
Sie beraten sowohl Unternehmen als auch Einzelpersonen. Oft heißt es, die Beratung von Unternehmen ist der einfachere Weg, da hier weniger Emotionen im Spiel sind. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht?
Ich habe festgestellt, dass die Erwartungshaltung an die Professionalität von Unternehmen bzw. den handelnden Akteuren zunächst dazu führt, dass diese ihre Emotionen, sofern sie im Spiel sind, tatsächlich anders handhaben. Das kann jedoch relativ schnell kippen. Ich kann aber auch mit starken Emotionen sehr gut umgehen und habe keine Angst davor. Was dabei eine ständige Übung bleibt, ist, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, bei sich zu bleiben und die professionelle Rolle nicht zu verlassen.
Sie sind ausgebildete Wirtschaftsmediatorin und sind nach dem CL-Verfahren (Collaborative Lawyer Verfahren) tätig. Warum haben Sie sich zur Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der alternativen Streitbeilegung entschieden?
Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und lege seit jeher Wert auf persönliche Entwicklung. Mich interessieren Menschen und deren Beziehungen zueinander. Als Rechtsanwältin erlebe ich eine Vielfalt an Konflikten. Ich halte daher die Fähigkeit zur Konfliktlösung außerhalb eines Gerichtssaals für essentiell.
Sie waren Vorsitzende des ÖRAK-Arbeitskreises für IT und Digitalisierung. Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Art und Weise aus, wie Sie in Ihrer Kanzlei arbeiten?
Digitalisierung und KI sind Gamechanger, die mich seit jeher faszinieren. Unsere Kanzlei arbeitet vollständig digitalisiert, und wir integrieren zunehmend KI in unsere Prozesse. Für mich steht außer Frage: Ohne die Bereitschaft zur Veränderung bleibt man nicht wettbewerbsfähig. Ich investiere regelmäßig Zeit, um mich mit neuen KI-Tools auseinanderzusetzen und strategisch zu bewerten, welche davon für uns sinnvoll sind. Es gibt viele Technologien, die mich begeistern. Doch nicht jede davon ist für unseren Kanzleialltag relevant oder erfüllt die hohen Anforderungen an Datenschutz und Berufsrecht, die für uns unerlässlich sind.
Die Ausbildungszeit von der Absolventin der Rechtswissenschaften zur fertigen Anwältin beträgt in Österreich rund 5 Jahre. Gibt es Punkte, die Sie bei Ihrer Ausbildungszeit im Nachhinein anders gemacht hätten (mehrere Stationen in verschiedenen Kanzleien zB Groß- und Einzelkanzlei, Erfahrung sammeln in Unternehmen, Startups etc)?
Wenn ich über vergangene Entscheidungen nachdenke, insbesondere über jene während meiner Ausbildungszeit, interessieren mich vor allem die damaligen Umstände und Überlegungen, die mich geleitet haben. Ich war überzeugt davon, dass es für mich die richtige Entscheidung war, so rasch wie möglich meinen Traum von der Selbständigkeit zu verwirklichen. Dieser Fokus hat es mir ermöglicht, meine Energie auf dieses Ziel zu konzentrieren.
Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Situation in 10 Jahren vor?
Ich empfinde es als großes Privileg Menschen in schwierigen Situationen beratend zu begleiten und meine Kompetenzen für sie einzusetzen. Strategien zu entwickeln und neue Lösungswege zu finden, ist meine Leidenschaft – das wird sich auch in 10 Jahren nicht ändern. Was sich aber sicher weiter grundlegend ändern wird, ist die Arbeitsweise. Die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz nehmen sehr viel Arbeit ab, erfordern es aber auch sich damit grundlegend zu befassen. Unsere Dienstleistungen und vermutlich auch Geschäftsmodelle werden sich a la long verändern. Da sehe ich enormes Gestaltungspotential und einen hohen Bedarf an Offenheit, Neugier und Bereitschaft zur Veränderung, um langfristig erfolgreich und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Dr. Alma Steger
Alma Steger studierte Rechswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz und promovierte an der Paris-Lodron Universität Salzburg. Nach ihrer mehrjährigen Tätigkeit in einer internationalen Wirtschaftskanzlei gründete sie im Jahr 2005 ihre eigene Kanzlei. Sie berät in komplexen Streitsachen mit internationalen Sachverhalten, im Erbrecht, rund um Fragen des internationalen Logistikrechts und führt und vertritt in Mediationsverfahren.