Gerade für angehende Rechtsanwaltsanwärter:innen aber auch für Rechtsanwält:innen
ist eine Gerichtverhandlung oftmals eine Herausforderung. Vor einem Zivilgericht gilt es
nicht nur, fachlich kompetent das Beste für die Mandant:innen rauszuholen. Oftmals wird
man neben der juristischen Tätigkeit auch als eine Art emotionale Stütze für
Mandant:innen, die Gegenseite, oder – im schlimmsten Fall – die Gegenvertretung
wahrgenommen. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Vorbereitung auf Verhandlungen
und ein gewisses Maß an Umsicht im Umgang mit allen Verfahrensbeteiligten. Gewisse
Fauxpas konnte ich in den letzten neun Jahren zum Glück vermeiden. Ich habe dennoch
einige miterlebt – zum Glück den Großteil nicht am eigenen Leib!
1. Vorsicht bei Besprechungen in Gerichtsnähe
Wer trifft nicht gerne die eigenen Mandant:innen vor der Verhandlung im Justizcafé oder
einem Café in der Nähe des Gerichts? Ein gewisses Maß an Vorsicht ist hier
empfehlenswert. Nur zu oft hat der/die Gegenvertreter:in genau dieselbe Idee. Die
Geschäftsgeheimnisse, Verfahrensstrategie oder sonstige Interna sollte man wahrlich
nicht ungewollt an die Gegenseite weitergeben. Auch ein/e Zeug:in – von der
Gegenseite oder sogar der eigenen – könnte ums Eck vor dem Verhandlungssaal warten
und gespannt die Ohren spitzen. Die Auswirkungen? Disaster waiting to happen.
2. Genug Zeit einplanen
Der frühe Vogel fängt den Wurm? Üblicherweise nicht mein Motto. Anders jedoch vor
einer Verhandlung! 20 Minuten vor der Verhandlung bei Gericht sein – so habe ich es in
meinem ersten Jahr als Rechtsanwaltswärterin gelernt und das ist noch immer mein Ziel
(insbesondere, wenn die U4 Richtung HG Wien einmal wieder gesperrt ist oder nur
teilweise fährt). Sollte man dennoch in Zeitnot geraten, ist es wichtig, in der Abteilung
anzurufen. Eine freundliche Richterin am LG ZRS ist schon einmal selbst fünf Minuten
später zur Verhandlung erschienen, weil ich es nicht pünktlich vom HG Wien zum LG ZRS
geschafft habe.
3. X gegen Y, Saal 2106!
Es ist für Rechtsanwaltsanwärter:innen und Rechtsanwält:innen (wie auch für Parteien)
äußerst unangenehm (und kann auch eine Haftung begründen), den Aufruf der Sache
des/der Richter:in zu überhören. Während man noch in Gedanken versunken ist, kann
dann im schlimmsten Fall bereits ein Versäumungsurteil ergehen. Daher sollte man stets
aufmerksam sein und pünktlich erscheinen, was uns gleich zum nächsten Punkt bringt.
4. Mein rechter, rechter Platz ist frei…
Kurz nach dem Gerichtsjahr wissen alle Rechtsanwaltsanwärter:innen zweifelsfrei, dass
im Zivilprozess der/die Kläger:in von dem/der Richter:in aus gesehen rechts vom
Richtertisch und der/die Beklagte links sitzt. Im Laufe der Zeit können Kolleg:innen das aber auch mal vergessen. Wer nicht auf Gedächtnistraining oder TV-Shows zurückgreifen
möchte, fragt vielleicht einfach eine/n in Prozessen erfahrene/n Kolleg:in. Ansonsten
wird sicher die Gegenvertretung oder der/die Richter:in gerne darauf hinweisen.
5. Kein Wasser trinken – urban legend?
Ein kleiner Schluck Wasser während einer mehrstündigen Verhandlung; man sollte
meinen, dass das kein Thema ist. Tja, nicht so an einem nicht näher bezeichneten
Landesgericht! Ich durfte zwar erst ohne Ermahnung trinken, aber prompt rutschte
meine Flasche am unebenen Verhandlungsakt ab und maximal 50 ml ergossen sich über
meinen Block. Mein Problem – eigentlich! Die Richterin war jedenfalls erbost und wies
mich zurecht, dass ich doch in der Pause hätte trinken können und das jetzt nicht
notwendig sei. Kurz gesagt: Ich habe es mir nicht gefallen lassen und habe weiterhin
eine Wasserflasche mit – wenn auch mit einem anderen Verschluss.
6. Die Klägerin schränkt das Klagebegehren ein, sodass das Urteil zu lauten
hat…
Eigentlich ein Grund zur Freude: Wider Erwarten bezahlt der/die Beklagte den
Kapitalbetrag und die Zinsen kurz vor der Verhandlung. Was ist zu tun? Bei einem reinen
Leistungsbegehren ist demnach auf Kosten einzuschränken. Unangenehm, wenn man
dann nicht weiß, wie nun das Klagebegehren zu lauten hat.
Rechtsanwaltsanwärter:innen, die erst kürzlich die kleine LU erhalten haben, genießen
oftmals „Welpenschutz“, wenn sie vor Aufregung nicht weiterwissen. Ein/e freundliche/r
Richter:in – oder selbst Gegenvertreter/in – hilft dann schon mal weiter. Darauf
verlassen sollte man sich aber nicht.
7. Nothing can surprise me?
Gerichtstermine können unvorhersehbar sein. Es sind immer mehrere Menschen
involviert und entsprechend unterschiedliche Persönlichkeiten. Für den/die
Durchschnittsbürger:in ist ein Gerichtstermin eine außergewöhnliche, vielleicht auch
einmalige Angelegenheit. Gerade, wenn die Parteien nach langem Disput vor Gericht
zusammentreffen, können die Wogen hoch gehen. Man kann nie auf alles gefasst sein!
Ein um 10 Uhr morgens alkoholisierter Zeuge („Wie üblich, eh nur 4 Bier“), eine
höchstemotionale Klägerin, die der eigenen Rechtsvertretung ständig ins Wort fällt und
den Tränen nahe ist, ein cholerischer Gegenvertreter, ein gerichtsbekannter Querulant
als Beklagter, oder aber auch ein sich als Rechtsritter darstellender übereifriger Kläger –
alles ist möglich! Da hilft nur Ruhe bewahren und das Beste daraus machen. Kurze
Verhandlungsunterbrechungen sollen schon Wunder gewirkt haben.
8. Ich zeige Sie bei der Kammer an!
Sich mit dem/der Gegenvertreter:in bei Gericht zu bekriegen, kann nicht nur
standesrechtlich problematisch sein, sondern dient auch nicht der Sache.
Selbstverständlich möchte man für den/die eigene/n Mandant:in das Beste herausholen.
Laute, ausfällige Kommentare oder gar wüste Beschimpfungen in Richtung Gegenseite
sind jedenfalls ein No-Go. Bei den Richter:innen kommt man definitiv nicht gut damit an und bei den Kolleg:innen auch nicht. „Hart in der Sache, aber freundlich im Umgang“
pflegt einer unserer Partner zu sagen.
9. RATG? GGG?
Wer kennt es nicht? Unverhofft sieht sich der/die Richter:in nicht zuständig oder meint,
die Sache sei spruchreif, und schließt die Verhandlung. Was ist dann das Um und Auf –
abgesehen davon, dass man noch frenetisch versuchen kann, Vorbringen zu erstatten
und (Zeugen-)Beweise zu beantragen in der Hoffnung, dass beides nicht verspätet ist?
Richtig, ein Kostenverzeichnis. Wenn es doch mal passiert: Selbst die Kosten errechnen –
oder besser noch – eine App rechnen lassen.
10. Mangelnde Vorbereitung
Es sollte selbstverständlich sein, das ist es aber leider nicht immer. Der Gerichtsakt –
egal ob physisch oder elektronisch, wobei hier zu bedenken ist, dass die Gerichte nicht
mit WLAN ausgestattet sind, muss vollständig und aktuell sein. Eine eAkteneinsicht vor
der Verhandlung sollte ebenso Standard sein, damit man eventuelle Lücken im Akt oder
fehlende Ladungen von Zeug:innen rechtzeitig erkennt („Hab ich den nicht geladen?
Brauchen wir den wirklich?“). Sofern ein schriftliches Vorbringen vorbereitet wurde oder
Beilagen vorgelegt werden sollen, ist darauf zu achten, genügend Kopien mitzuhaben.
Manche Richter:innen ersuchen zwar nachträglich um Einbringung im ERV, aber
Ausdrucke sind in der Verhandlung dennoch notwendig. Sonst kann es schon einmal
vorkommen, dass ein/e Partner:in einer namhaften Kanzlei von dem/der Richter:in zum
Kopieren geschickt wird (Kleingeld dabeizuhaben wäre auch nicht schlecht).
Alles in allem sind Gerichtsverhandlungen eine spannende Herausforderung, die mit der
richtigen Vorbereitung, Elan und Professionalität gemeistert werden kann. Es soll aber
bitte auch grundsätzlich Spaß machen! Nicht jeder Fall eignet sich dafür. Es gibt auch
immer wieder Fälle, bei denen ich froh bin, wenn der/die Richter:in die Verhandlung
schließt. Es macht einen großen Unterschied mit welchem Gefühl ich in eine Verhandlung
gehe und ob ein/e angenehme/r Gegenvertreter:in und Richter:in auf mich warten oder
nicht. Aussuchen kann man sich das nicht, aber ich freue mich, wenn ich sachlich und
wertschätzend verhandeln darf.

Sara Khalil
Sara Khalil ist Anwältin und Counsel im Wiener Büro von Schönherr Rechtsanwälte. Sie ist auf die Vertretung von Mandanten vor Zivilgerichten mit einem besonderen Fokus auf Datenschutz- und Vertriebsrechtsstreitigkeiten spezialisiert. Sara leitet ein Team von drei Juristen und ist insbesondere versiert in grenzüberschreitenden Sachverhalten. Darüber hinaus publiziert Sara regelmäßig zu Themen des Zivil- und Zivilprozessrechts.
